Den Artikel könnte man hervorragend als Fallbeispiel für Framing nutzen.
Die Besatzung des Westjordanlands und des Gazastreifens war die Folge israelisch-arabischer Kriege, die für Israel existenzielle Bedrohungen darstellten. Das Hauptinteresse Israels ist Sicherheit, und für die politische Rechte zudem die territoriale Expansion in das Westjordanland. Die palästinensische Bevölkerung wird als Sicherheitsrisiko und Störfaktor für den jüdischen Charakter des Landes gesehen, nicht als Gegenstand von Ausbeutung auf Basis von „Rassentrennung“.
Die Vertreibung der Juden ist eine existenzielle Bedrohung, die Vertreibung der Palästinenser erfolgt weil sie ein "Störfaktor für den jüdischen Charakter des Landes" sind. Ja Moin.
Im Westjordanland existiert die palästinensische Autonomiebehörde, die als Schritt auf dem Weg zur Unabhängigkeit vorgesehen war. Das Scheitern dieses Prozesses hat zum derzeitigen Charakter der Besatzung geführt.
Wer glaubt, dass Oslo II tatsächlich die Grundlage für eine schrittweise Unabhängigkeit, die den Namen auch verdient, war, hat doch den Verstand verloren. Das war eine Kapitulationserklärkung der PLO, und selbst das war den rechtsnationalen israelischen Kräften nicht genug.
Der Vorwurf der Apartheid in den völkerrechtlichen Grenzen Israels ist eine absurde Überspitzung. Der Politikwissenschaftler Samy Smooha stuft Israel als „ethnische Demokratie“ ein. Die israelische Verfassungsrechtlerin Suzie Navot definiert: „Israel ist zuerst ein jüdischer, dann ein demokratischer Staat. Und das ist die richtige Reihenfolge.“ Die politische Vorherrschaft des jüdischen Volkes ist fester Teil der israelischen Verfassungswirklichkeit. Gleichzeitig gelten in Israel gleiche individuelle Rechte für alle Bürger, ungeachtet der Ethnie und Religion. Die Rechte der arabischen Minderheit sind nicht auf dem Stand, den sie einfordert (beispielsweise wird das arabische Bildungssystem massiv gegenüber dem hebräischen benachteiligt).
An anderer Stelle ist die Realität aber oft komplex. Die katastrophale Infrastruktur im annektierten Ostjerusalem hat mit offener Parteinahme der Lokalpolitik gegen die dortige arabische Bevölkerung zu tun, aber ebenso viel mit dem ungelösten Status der Stadt: Bis heute ist unklar, welche Teile dauerhaft zu Israel gehören werden. Außerdem übt die arabische Bevölkerung Ostjerusalems das israelische Wahlrecht nur selten aus, was ihre Möglichkeiten der Einflussnahme begrenzt. Tatsächlich ist die elektorale Politik aber oft eine Schwäche des jüdischen Staates in Bezug auf seine Minderheiten gewesen: Ultrarechte Regierungen wie die unter Menachem Begin in den Achtzigern, und die 2023 gebildete Koalition Netanjahus mit dem extremistischen Rand haben oft konkrete Verschlechterungen der politischen Lage nichtjüdischer Menschen in Israel und den besetzten Gebieten bedeutet.
Trotzdem sind aus der unsicheren Frühzeit Israels stammende Benachteiligungen der arabischen Minderheit mit der Zeit größtenteils verschwunden. Nach der Staatsgründung stand die arabische Bevölkerung Israels unter Militärverwaltung und genoss Pressefreiheit und Wahlrecht nur eingeschränkt. Seit dem Ende der Militärverwaltung 1968 existiert Gleichberechtigung, und die Toleranz der israelischen Demokratie gegenüber antizionistischen arabischen Parteien ist beachtlich.
Irgendwie widerspricht der ganze Teil dem ersten und der letzten Satz.
Rassismus und Diskriminierung existieren in vielen Staaten. Der Begriff der „Apartheid“ könnte auch auf die Lage von Gastarbeitern in manchen Golfstaaten oder der Palästinenser im Libanon angewendet werden. Das geschieht aber fast nie. Israel ist quasi der einzige Staat, dem „Apartheid“ vorgeworfen wird.
"Keine Gleichheit im Unrecht"
Der Vorwurf zielt zudem fast immer auf die Brandmarkung Israels als eines „siedlerkolonialen Fremdkörpers“. Die Milieus der „Palästina-Solidarität“ um die BDS-Bewegung schlagen unisono den Bogen vom Apartheidvorwurf zum Ruf nach dem Verschwinden des Staates Israel „from the River to the Sea“. Dass damit ein säkulares Palästina „für alle“ gemeint sei, wird dann entlarvt, wenn das gleiche Milieu die Gräueltaten der Hamas rechtfertigt oder bejubelt. Den Worten derjenigen, die Israel als Apartheidstaat delegitimieren, folgen also auch Taten. Solange das so ist, wird und muss die Offenheit für Kompromisse in Israel gering sein.
Dass ethnonationalistischen Kräften in Israel letztendlich auch ein from the River to the Sea vorschwebt, in dem Nichtjuden bestenfalls geduldet sind, und damit die Besatzung und zivilen Opfer in Palästina genauso gerechtfertigt werden, ist für den Autor aber irgendwie kein Anstoß zur Kritik.
Den Unterschied macht die Ideologie. Der interessantere Vergleich zwischen dem Israel/Palästina-Konflikt und der Geschichte Südafrikas ist daher der zwischen dem African National Congress (ANC) und der Hamas. Erstere und ihre Verbündeten begingen in den dreißig Jahren der Illegalität zwischen 1960 und 1990 eine Reihe von Anschlägen gegen die weiße Herrenschicht. Die Gesamtzahl der Todesopfer wird auf unter 200 geschätzt. Die meisten Anschläge richteten sich gegen Sachziele. Gewalt gegen Menschen wurde in den Statuten des ANC nie legitimiert. Weiße Südafrikanerinnen und Südafrikaner blieben als Mitglieder willkommen. Nelson Mandela wurde so zu einer globalen Ikone des gewaltlosen Widerstands.
Der Hass sitzt tief
Die damit unvergleichliche Ideologie der Hamas ist dagegen derzeit in ihrem ganzen Schrecken sichtbar. Es ist nachvollziehbar, dass Generationen von in Armut und mit minimalen politischen Rechten aufgewachsenen Palästinensern anfällig für Radikalisierung sind. Das führt aber nicht zwangsläufig zu bestialischen Verbrechen. Der ANC trug durch Treue zu einem humanistischen Weltbild die Zivilisation durch den Kampf gegen ein unzivilisiertes System. Dagegen werden die niedersten Instinkte (Mordlust, Menschenverachtung, Dämonisierung) in der islamistischen Ideologie der Hamas nicht eingehegt, sondern noch potenziert.
Der historische Kontext des ANC in einem dekolonisierenden Afrika ist halt ein völlig anderer.
Die Ideologie des bedingungslosen Kampfes gegen „die Juden“ hat ihre Wurzeln zwar schon um 1920, wurde aber im modernen Islamismus besonders tief in die palästinensische politische Identität eingeschrieben. Die säkulare PLO, die sich zwischen 1973 und den Verhandlungen mit Israel von 1991 an der Idee von Koexistenz angenähert hatte, verlor ihre Macht auch wegen der religiös-extremistischen Welle in der arabischen Welt ab den Achtzigerjahren. Die jüngsten Ereignisse zeigen klar, dass kein jüdischer Israeli vor dem Todeskult des Dschihadismus sicher ist.
Das stimmt wohl. Man darf sich fragen, warum das auf so fruchtbaren Boden fiel.
Ganz grundsätzlich: Die semantische Debatte, ob das jetzt technically Apartheid ist oder nicht, geht doch am Kern des Problems vorbei. Der Autor führt deutlich aus, dass Araber und Juden in Israel keinesfalls gleich sind, auch wenn sie das auf dem Papier vielleicht sein mögen, und das auch Grundlage jedes Israels der Zukunft sein soll - das Angebot an die Palästinenser ist also bestenfalls Bürger zweiter Klasse zu sein. Mich überzeugt das nicht.