»Liebe amerikanische Landsleute,
2025 jährt sich zum zwanzigsten Mal Hurrikan Katrina. Der Hurrikan, der Teile der USA in einem nie dagewesenen Ausmaß heimsuchte. Viele verloren ihre Häuser, sahen sich ihrer Lebensgrundlage und Zukunft beraubt. Bis heute leben unzählige Opfer dieser Naturkatastrophe nicht in ihrer einstmals so schönen Heimat, sondern mussten sich wie Flüchtlinge einen neuen Ort zum Leben suchen. Die Welt schaute auf diese großartige Stadt New Orleans, die auf einmal dunkel und beinahe erstorben im Wasser lag.
Seitdem haben sich ähnliche Katastrophen, dutzendfach, wenn nicht sogar hundertfach, auf der Welt wiederholt. Nicht jedes Mal hat die Welt so teilnahmsvoll hingeschaut wie auf New Orleans 2005. In unserer kampferprobten Art und Weise haben wir den Wiederaufbau angepackt, die Deiche erhöht und uns Mut gemacht, dass diese Katastrophe eine einmalige bleiben wird. Die wahre Ursache, den Klimawandel, haben wir ausgeblendet. Einer meiner Amtsvorgänger, Barack Obama, erwähnte 2015, anlässlich des zehnjährigen Gedenktages von Hurrikan Katrina, den Klimawandel, als Ursache für diese Krise biblischen Ausmaßes, nur ein einziges Mal in seiner Ansprache.
Wie ein Gespenst erschreckt uns seit Jahrzehnten das Problem der Erderwärmung und der damit einhergehenden verheerenden Folgen. Die Bedeutung des Problems hat nicht nur in den USA die Gesellschaft zutiefst gespalten. Während ein Teil der Menschheit die ökologische Krise leugnet oder darauf wartet, dass ein technologischer Durchbruch alle Probleme schlagartig löst, ist der andere Teil der Menschheit zutiefst besorgt, verzweifelt und wütend auf Regierungen, die nichts oder fast nichts tun.
In groß angelegten Klimakonferenzen wurden Ziele und Absichten formuliert, ohne letztlich Klimaneutralität zu erreichen. Doch diese ist unabdingbar, um die große Katastrophe aufzuhalten. Nur wenn Handlungen und Prozesse keine Treibhausgasemissionen mehr verursachen oder deren Emissionen vollständig kompensiert werden können, ist Klimaneutralität erreicht. Dabei können die Pflanzen der Erde schätzungsweise nur ein Viertel der von Menschen gemachten Emissionen aufnehmen.
In einer Demokratie sind Politiker auf die Zustimmung ihrer Wählerinnen und Wähler angewiesen. Deshalb vermitteln sie in ihren Reden oft ein geschöntes Bild. Das Motto ist simpel: Wenn Sie mich wählen, wird alles besser! Im Zweiten Weltkrieg, zu Beginn des Westfeldzuges, schwor Premier Winston Churchill die britische Bevölkerung ein auf die Entbehrungen des Krieges: ›Ich habe nichts zu bieten, außer Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß.‹ Churchills schockierende Offenheit war es, die die britische Bevölkerung auf den Krieg vorbereitete. Er zeigte seinen Landsleuten ohne Umschweife das Leid und die Not auf, denen sie sich zu stellen hatten, um für eine lebenswerte Zukunft zu kämpfen – für sich selbst und nachfolgende Generationen.
Heute ist nicht nur das Leben unserer Kinder und Enkelkinder in Gefahr, heute ist die Schöpfung auf der Erde bedroht. Es ist meine Pflicht als Präsidentin der Vereinigten Staaten, die Wahrheit zu sagen. Dazu gehört auch, endlich eine Antwort zu finden auf die drängenden Probleme unserer Zeit. Deshalb haben die USA , China und Russland schon vor mehr als zwei Jahren dreihundert der angesehensten Wissenschaftler, darunter einundfünfzig Nobelpreisträger, beauftragt, eine Machbarkeitsanalyse zu erstellen. Dabei ging es um sechs Fragen:
Erstens: Wie kann das Weltbevölkerungswachstum gebremst und die Anzahl der Menschen auf der Erde auf ein für die Natur vertretbares Maß reduziert werden?
Zweitens: Wie senken wir den Ausstoß klimaschädlicher Emissionen, um Klimaneutralität zu erreichen?
Drittens: Wie senken wir signifikant den Ressourcen-Verbrauch?
Viertens: Was kann und muss die Politik tun, um die mit der Umsetzung verbundenen Härten, wie den Verlust des Arbeitsplatzes, zu minimieren und für den Einzelnen erträglicher zu machen?
Fünftens: Ist es unvermeidlich und ethisch verantwortbar, auch militärisch aktiv zu werden, wenn sich Länder nicht kooperativ an klimarettenden Maßnahmen beteiligen?
Sechstens: In welchem Maß muss der Mensch seine Ernährung umstellen und den Fleischkonsum reduzieren, um den Ausstoß von Methan und Stickoxiden drastisch zu senken? Die Folgen der Massentierhaltung sind gravierend – für das Tierwohl, aber auch für die Wälder, die infolge der Futteranpflanzungen und für Weideflächen weichen müssen.
Bei dieser Machbarkeitsanalyse stand im Fokus, wie wir innerhalb der nächsten fünf Jahre ein effizientes Klimarettungspaket auf den Weg bringen, das unseren Wohlstand langfristig sichert.
Entscheidend für die Rettung der Welt ist der Umbau unserer Energieressourcen: weg von der Kohle, hin zu regenerativen Energiequellen, wie Sonne und Wind, Wasserstoff und Geothermie. Weniger klimaschädliche Kraftwerke, angetrieben durch Kohle und Gas – ein Wandel, den wir von nun an noch entschlossener angehen werden. Der Umbau wird wahrscheinlich ein gutes Jahrzehnt in Anspruch nehmen. Mindestens für diese Zeit müssen wir auf folgende CO 2 -Ausstoß reduzierende Maßnahmen, auf deren zügige Umsetzung es ankommt, vertrauen:
Die erste Maßnahme: Wir müssen unseren Fleischkonsum drastisch senken. Mindestens fünfundzwanzig Prozent des weltweiten CO 2 -Ausstoßes hängen mit dem Verzehr tierischer Lebensmittel zusammen. Insbesondere der Verzehr von Rindfleisch belastet die Umwelt. Daher wird zum Schutz der Regenwälder ein Importverbot von Rindfleisch aus tropenwaldreichen Ländern verhängt. Zudem führen wir eine Sonderabgabe auf alle Fleischprodukte ein, gestaffelt nach ihrer Klimaschädlichkeit, mit dem Ziel, den Fleischkonsum in den nächsten drei Jahren um vierzig Prozent zu reduzieren. Im Gegenzug werden wir, um soziale Härten auszugleichen, andere Lebensmittel deutlich vergünstigen. Dazu werden wir gezielt Subventionen und eine steuerliche Entlastung einsetzen. Sollte die Kombination aus Importstopp und Steuern nach einem Jahr nicht ausreichend erkennbar die Reduzierung des Fleischkonsums zur Folge haben, wird die Einführung von Bezugsscheinen auf Fleisch angeordnet.
Die zweite Maßnahme: Die Fahrleistung je Auto wird beschränkt. Jeder Amerikaner fährt heute im Durchschnitt zwanzigtausend Meilen pro Jahr. Diese Distanz darf künftig nur noch von Autos zurückgelegt werden, die einen besonders niedrigen CO 2 -Ausstoß haben. Infolge des nach wie vor geringen Anteils regenerativer Energien gehört der Ausbau der E-Mobilität zu den langfristigen und nicht zu den kurzfristigen Eckpfeilern unseres Fünf-Jahres-Programms.
Drittens: Wir streben an, den durchschnittlichen Energiebedarf eines Drei-Personen-Haushalts in den nächsten zwei Jahren um ein Viertel zu senken. Zehn Prozent des amerikanischen Energieverbrauchs sind allein auf das Kühlen im Wohn- und Gewerbebereich zurückzuführen. Künftig dürfen nur noch ausgewählte Einrichtungen wie Krankenhäuser und Pflegeheime mit Überschreiten einer Raumtemperatur von fünfundzwanzig Grad eine Klimaanlage zur Kühlung einsetzen. In Privathäusern ist dies nur mit einer Ausnahmegenehmigung möglich. Weitere Maßnahmen sind die Einführung einer Abwrackprämie für Haushaltsgeräte mit hohem Energieverbrauch und ein milliardenschweres Sofortprogramm zur energetischen Sanierung von Wohn- und Gewerbeimmobilien.
Viertens: Das Flugaufkommen wird drastisch reduziert – auf die Hälfte des heutigen Niveaus. Private Flugreisen werden auch in Zukunft möglich sein. Allerdings werden Häufigkeit und Entfernung für jeden US -Bürger Regularien unterliegen.
Fünftens: Zur Belebung der Wirtschaft werden wir ein schnelles Prüfungsverfahren zur Bewertung innovativer grüner Technologien einführen, die zeitnah alte, klimaschädliche Technologien ersetzen werden.
Die sechste Maßnahme: Zusätzlich werden die USA das größte Wiederaufforstungs-Programm in ihrer Geschichte auflegen.
Alle weiteren Vorhaben und Gesetzesänderungen sind ausgearbeitet. In den nächsten Wochen werden die Ministerien in vierundsiebzig Pressekonferenzen die Umgestaltungen im Einzelnen erläutern.
Unser bisheriges Wirtschaftsmodell hat für einen schnell steigenden Lebensstandard seit den 1950er Jahren gesorgt. Viele Menschen haben jedoch das Gefühl, dass dieses Versprechen einer besseren Zukunft hohl geworden ist. Wir sehen uns mit immer neuen Höchstständen an Drogenopfern, Depressionen und Selbstmorden konfrontiert. Das traurige Ergebnis einer Gesellschaft, die ihr Ziel aus den Augen verloren hat und vielleicht auch deshalb versucht, immer schneller zu werden.
Jede Einschränkung, so entschieden sie auch in unseren Alltag eingreift, wird dem Klima und unserem Planeten zugutekommen. Auch rechne ich fest mit einer spürbaren Verbesserung unserer mentalen Gesundheit. Viele Auflagen während der Corona-Krise haben sich im Nachgang als weniger belastend herausgestellt als angenommen. Andere Entbehrungen erwiesen sich sogar oft als großes Glück. Viele amerikanische Arbeitnehmer profitieren heute privat wie finanziell von den flexiblen Home-Office-Regelungen, die seit der Corona-Krise gelten. Wir verbringen mehr Zeit mit unseren Familien und weniger Zeit alleine in unseren Autos auf dem Weg zur Arbeit.
Die weitere Vorgehensweise haben wir in den vergangenen Monaten mit der Führung der Republikanischen Partei, den Joint Chiefs of Staff und den zehn wichtigsten Vertretern der Wirtschaft diskutiert. Die Senatoren wurden informiert und mit in die Überlegungen einbezogen. Der Kreis der Beteiligten musste dabei so klein wie möglich gehalten werden.
Dieses Vorhaben unterlag der höchsten Geheimhaltungsstufe, jede öffentliche Diskussion hätte einen ruhigen Prozess der Entscheidungsfindung unmöglich gemacht.
Hier drängt sich natürlich die Frage auf: Warum so viel Veränderung in so atemberaubend kurzer Zeit, in fünf Jahren? Die Antwort ist einfach: Die Lebensgrundlage für die gesamte Schöpfung ist in einer Weise bedroht, wie wir Menschen es uns kaum vorstellen können.
Deshalb mahnten auch alle am Entscheidungsprozess beteiligten Persönlichkeiten dringend die baldige Abschaffung des weltweiten Rüstungswahnsinns an. Daraus entstand die Idee, ab 2030 die Bildung einer Weltregierung voranzutreiben, mit begrenzten, aber sehr verbindlichen Aufgaben. Die Weltregierung müsste jedem Land auf der Erde die absolute, territoriale Unverletzlichkeit garantieren sowie die politische Souveränität. Ob die Staatsführung demokratisch, autokratisch oder theokratisch bestimmt ist, entscheidet jedes Land selbst.
Jeder Mitgliedsstaat hat jedoch zwei Anforderungen kompromisslos zu erfüllen.
Erstens: Mit Ausnahme der für die Inlandssicherung erforderlichen Einheiten ist eine hundertprozentige Abrüstung zeitnah umzusetzen.
Zweitens: Jeder Mitgliedsstaat hat die Gesetze der ›Allianz fürs Klima‹ einzuhalten.
Bei Zuwiderhandlung sind spürbare Sanktionen der Weltregierung die unmittelbare Folge. Die Weltregierung wird die einzige Institution auf der Erde sein, die über eine schlagkräftige und umfangreiche Armee verfügt.
Staaten, die der Weltregierung beitreten, verpflichten sich, fünfzehn Prozent ihres bisherigen – nun auf null sinkenden Militäretats – zur Finanzierung des Militärs der Weltregierung beizusteuern. Unabhängig davon, dass wir der Erderwärmung weltweit anders entgegentreten müssen als bisher, hat die Regierung in Zusammenarbeit mit der republikanischen Führung beschlossen:
Die USA werden mit sofortiger Wirkung aus der NATO und den Vereinten Nationen austreten. Wir sehen keine nennenswerte Bedrohung einzelner Staaten, die die Aufrechterhaltung und Mitgliedschaft in der NATO erforderlich macht. Sollte trotzdem eine territoriale Verletzung eines Landes vorliegen, planen die USA , China und Russland gegebenenfalls militärisch einzugreifen. Die UN wiederum hat sich zu einer Gemeinschaft entwickelt, die zwar in vielen Bereichen gute Arbeit leistet, doch im Hinblick auf militärische Maßnahmen erscheint sie als zahnloser Tiger.
Die Befehlshaber der Teilstreitkräfte zu Luft, zu Land und zu Wasser haben der politischen Führung bedingungslose Loyalität zugesagt – sie kennen unsere Ziele und unterstützen sie vollumfänglich.
Schon seit Langem wird zu Recht beklagt, dass die soziale Spaltung voranschreitet oder sich verfestigt. Dabei fällt zumeist der Satz: Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Die Umsetzung unserer ambitionierten Ziele kostet viel Geld und kann nicht auf den Schultern des ärmeren Teils unserer Bevölkerung ausgetragen werden. Deshalb hat die Regierung eine einmalige Vermögenssteuer beschlossen.
Innerhalb von fünf Jahren hat jeder Bürger und jede Bürgerin in einer Staffel zwischen zwölf und fünfundzwanzig Prozent einen Beitrag zur Finanzierung der Vorhaben zu leisten. Die Steuer beginnt für Einzelpersonen bei einem Vermögen von drei Millionen Dollar, für Verheiratete bei viereinhalb Millionen Dollar und erhöht sich in Staffeln. Ab einem Vermögen von hundert Millionen Dollar beträgt der Satz fünfundzwanzig Prozent. Bei Aktiengesellschaften wird eine einmalige Steuer von acht Prozent erhoben. Basis für die Berechnung ist die Marktkapitalisierung auf der Grundlage des Börsenkurses vom 30. Dezember 2024. Auch hier zahlbar innerhalb von fünf Jahren.
China und Russland verkünden am heutigen Tag – nicht zufällig – ähnliche Maßnahmen in ihren Ländern. Den Regierungen der G3 ist bewusst, dass Einschränkungen für jeden einzelnen Bürger dieser drei Länder zu wenig sind, um unser ambitioniertes Fünf-Jahres-Klimaziel zu erreichen. Auch dürfte es unmöglich sein, Chinesen, Russen und Amerikanern allein die Bürde aufzuladen, die in anderen Ländern von vornherein abgelehnt wird. Die G3-Regierungen fordern alle Länder der Erde dazu auf, gleiche oder zumindest sehr ähnliche Maßnahmen zeitnah einzuführen. Länder, die dies verweigern, werden nicht mehr als befreundet angesehen und müssen mit Sanktionen unterschiedlicher Art rechnen. Neben dem Klimaziel und der Schonung der Ressourcen steht das Null-Bevölkerungswachstum auf der Erde für uns im Mittelpunkt.«
Die Präsidentin machte eine Pause, trank etwas Wasser. Ihre Stimme klang angestrengt, fast heiser. Aber sie nahm sich zusammen.
»Noch heute wird der Präsident Nigerias in Abuja die sofortige Einführung der Ein-Kind-Politik in seinem Land verkünden. Blaupause für das Vorgehen der nigerianischen Regierung wird Chinas Politik sein – bis 2015 galt hier die Ein-Kind-Politik.
Damit ist auch erklärt, warum nach der Vertreibung islamistischer Terror-Gruppen die Streitkräfte der G3-Staaten aus Nigeria nicht abgezogen wurden. Die Einführung einer konsequenten Ein-Kind-Politik wird bei einer Mehrheit der Bevölkerung Nigerias auf Widerstand stoßen, und es ist wahrscheinlich, dass sie sich gegen den Präsidenten und die Regierung wendet.
Das werden wir nicht zulassen.
Mit zweihundertzweiundzwanzig Millionen Einwohnern ist Nigeria das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Aktuell bringt dort jede Frau im Durchschnitt fünf Kinder zur Welt. Nach Berechnungen der Vereinten Nationen wird sich die afrikanische Bevölkerung in sechsundzwanzig Jahren verdoppeln. Die Menschheit muss einer solchen Entwicklung entschlossen entgegentreten, um dem Überleben der Schöpfung eine Chance zu geben. Weltweit stagniert der Anstieg des Bevölkerungswachstums weitestgehend, leider gilt das nicht für den afrikanischen Kontinent und auch nicht für das bevölkerungsreichste Land der Erde – Indien.
Auf dem afrikanischen Kontinent bereitet uns derzeit eines große Sorge: Als Folge des äthiopischen Staudammbaus drohen massive Konflikte zwischen Ägypten und Sudan. Ägypten befürchtet, vierzig Prozent der eigenen Bevölkerung nicht mehr ernähren zu können, falls das Wasser des Nils das Land nicht mehr so erreicht wie seit Jahrtausenden.
Derzeit leben dort über einhundertzwölf Millionen Menschen. Werfen wir einen Blick auf die Hauptstadt Kairo. Die Stadt besteht fast zur Hälfte aus Elendsvierteln. Ein Kind, das in diese Welt geboren wird, muss von Anfang an kämpfen. Familien leben zusammengepfercht, Wasser- und Stromversorgung sind miserabel oder nicht vorhanden, es gibt keine Kanalisation oder Müllabfuhr. Der einzige Ausweg aus Hunger, Elend und Perspektivlosigkeit wäre eine gute Schulbildung, doch die steht den Kindern dieser Armenviertel nicht zur Verfügung.
Vielmehr lernen sie schon früh, für das karge Essen zu arbeiten, das ihnen das Überleben sichert. Diese Elendsviertel wachsen beständig durch die zahlreichen Landflüchtlinge, die in der Stadt auf eine bessere Zukunft hoffen. Sorgt nun das ausbleibende Wasser des Nils für Dürren und Ernteausfälle, werden die Folgen für die Armen des Landes fatal sein und die Zahl der Elendsviertel auf ein dramatisches Maß anwachsen. Dann reichen auch Zuschüsse für Brot nicht aus, um den Hunger der Menschen zu stillen …«
Der ägyptische Regierungschef stand unter den Staatsgästen. Er blieb unbewegt, aber sein Gesichtsausdruck war hart.
Die Präsidentin fuhr fort.
»Die G3 haben der ägyptischen Regierung angesichts von über einhundertzwölf Millionen Menschen, die zu einem großen Teil in diesen nicht menschenwürdigen Verhältnissen leben, dringend angeraten, ebenfalls die Ein-Kind-Politik nach dem Modell Chinas einzuführen. Auch hier könnte die Regierung bei Bedarf auf militärische Unterstützung der G3 bauen.
Ein anderes Beispiel. Äthiopien hat im Bereich der Familienplanung schon einiges erreicht. Während die Länder südlich der Sahelzone immer noch eine Geburtenrate von fünf Kindern und mehr pro Frau haben, liegt dieser Wert in Äthiopien mittlerweile bei 3,8. Trotz dieses ersten Erfolges befinden sich die Regierungen der G3 in ernsten Gesprächen mit der Regierung in Addis Abeba. Sie verfolgen das Ziel, für ganz Afrika zeitnah eine Ein-Kind-Politik durchzusetzen.
Nigeria, Ägypten und Äthiopien sollen dabei eine Vorreiterrolle haben. Dafür wird in diesen Ländern der Aufbau einer modernen Infrastruktur unterstützt werden, mit über fünfzig Milliarden Dollar, bezogen auf die nächsten fünf Jahre.«
Der ägyptische Regierungschef blieb weiterhin unbewegt. Aber er fragte sich, ob er sich verhört hätte.
Die Präsidentin fuhr fort.
»Die G3-Staaten erwarten, dass die aufzubringenden fünfzig Milliarden Dollar auch von anderen befreundeten Nationen und weltweit prosperierenden Unternehmen mitfinanziert werden. Darüber hinaus wird es ab sofort ein Spendenkonto geben, sodass jeder Bürger der Welt das Projekt unterstützen kann.
Ein weiterer Schwerpunkt der G3-Länder wird die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und Indien sein. Die Dynamik der Bevölkerungsentwicklung in Indien auf 1,44 Milliarden Menschen ist für die G3 besorgniserregend. Die Alterspyramiden in China und Indien könnten kaum unterschiedlicher sein. In Indien liegt der Altersdurchschnitt bei siebenundzwanzig Jahren, ein dramatischer Wert. In China liegt er bei rund siebenunddreißig Jahren, als Folge politischer Maßnahmen. Nach Angaben der Vereinten Nationen wird – wenn die Regierung nichts unternimmt – die indische Bevölkerung in den nächsten fünfundzwanzig Jahren noch einmal um dreihundert Millionen Menschen wachsen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Erderwärmung und der damit verbundenen Risiken haben China, Russland und die USA vereinbart, eine ›Allianz für das Klima‹ zu gründen. Die Länder dieser Allianz werden nicht nur innerhalb ihrer Nationen das Menschenmögliche tun, um den CO 2 -Ausstoß zu reduzieren, sondern auch gemeinsam andere Staaten auffordern, es ihnen gleichzutun.
Die G3-Staaten haben ein entschiedenes Interesse daran, Indien und die Europäische Union in die ›Allianz fürs Klima‹ gleichberechtigt aufzunehmen. Voraussetzung für die Erweiterung der Allianz ist allerdings die Übereinstimmung mit den Zielen der G3.
Auch bei der Geschwindigkeit der Umsetzung werden die G3-Staaten keinerlei Abweichungen vom Zeitplan akzeptieren. Angesichts der gesamten Situation in Indien erwarten die G3-Staaten auch von Indien die baldige, konsequente Einführung der Ein-Kind-Politik. Die G3 erklären gemeinsam: Wer sich nicht für die Klimaziele einsetzt, so wie wir es tun, mit dem kann und wird es keine Freundschaft geben.
Die Allianz wird in Gesprächen mit anderen Ländern stets gemeinsam auftreten. Die Gemeinsamkeit der G3 ist dabei für jedes Land eher eine Chance als ein Risiko.
Das mögen Regierungen, die sich durch Umweltmaßnahmen nur belastet fühlen, anders sehen. Allerdings ist die Zeit ergebnisloser Gespräche, des Informations- und Meinungsaustausches ohne sichtbare, nutzbringende Konsequenzen – diese Zeit ist abgelaufen. Die G3 rechnen damit, von vielen als Öko-Diktatur diffamiert zu werden. Diese Diffamierung wird von Menschen und Regierungen kommen, die am Zustand der Erde und der Schöpfung nichts erkennbar Gefährdetes sehen.
Liebe amerikanische Landsleute, wie einst Winston Churchill spreche ich heute zu Ihnen und kündige gewisse Entbehrungen an. Aber es werden keine Bomben auf Washington fallen, kein Amerikaner wird hungern oder frieren – ganz im Gegenteil. Die USA werden in den nächsten Jahren viele Milliarden in den sozialen Wohnungsbau investieren, damit kein Bürger und keine Bürgerin mehr in unwürdigen Verhältnissen lebt.
Auch werden wir Milliarden in die medizinische Versorgung, die Pflege alter Menschen, in die Kinderbetreuung und die Bildung unserer Jugend investieren. Mit großen Summen werden wir Universitäten unterstützen und die Forschung fördern. Auch wird ein Schwerpunkt auf den Ausbau des Schienennetzes gelegt werden, um die vorrangige Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel voranzutreiben. Aber vor allem werden wir Menschen, die in Arbeitslosigkeit geraten sind, materiell umfangreich unterstützen. Denn diese Mitbürger und ihre Familien sind es, die einen höheren Preis zahlen. Trotz aller Sorgen und Probleme sehen die Regierung und ich eine gute Zukunft für die Menschen unseres Landes, die Menschheit und die Schöpfung. Heute habe ich mich an Sie gewandt, weil die Erde mindestens zehn Jahre braucht, um einmal tief durchzuatmen.«
Pause. Dann:
»Der Mensch hat die große Klimakrise verursacht. Und nur der Mensch kann das Ruder wieder herumreißen.
Ein Vorgänger in diesem Amt sprach oft von der Großartigkeit unserer Nation. Tatsächlich leben in unserem Land viele Millionen Frauen und Männer, die mit ihrer Tatkraft, ihrer Ehrlichkeit, ihrer Liebe zur Familie, zur Gemeinschaft und zur Schöpfung unserem Land gedient und ihm ein lebensbejahendes Gesicht gegeben haben. Lassen sie uns jetzt gemeinsam die Ärmel hochkrempeln. Wir haben die Kraft, Gespenster, die uns bedrängen, zu verjagen. Wir brauchen die Gemeinschaft von zweihundert Ländern auf der Erde, wir brauchen ihre Unterstützung, ihr Vertrauen. Noch vor wenigen Jahren war es nahezu für alle Menschen auf dieser Erde unvorstellbar, dass Russland, China und die USA nicht mehr durch Machtstreben, Misstrauen und Vorurteile voneinander getrennt agieren. Sondern vereint sind im Kampf um den Erhalt der Schöpfung.«
Die letzten Worte hatte sie sehr leise gesprochen. Sie griff zum Wasserglas und trank es leer. Ein Assistent eilte heran, um es nachzufüllen, sie winkte ihm ab.
Und auf dem Capitol Hill, wo das Inauguration Comittee stand, die Senatoren, Abgeordneten, Staatsgäste aus vierundfünfzig Ländern, die Kamerateams der TV -Sender, die Journalisten, die Tausenden von Menschen auf dem Rasen, vor vielen Bildschirmen auf der ganzen Welt – es herrschte vollkommene Stille.
Aus Der neunte Arm des Oktopus, 2020
Schwierig. Menschenrechte vs. Menschenrechte...
Ich wäre jedenfalls froh um etwas mehr Pragmatismus bei der Bekämpfung der Klimakrise, mit dem momentanen Idealismus und dessen Richtungsvielfalt wird das Ganze jedenfalls nichts. Der "G3" Beigeschmack ist halt leider faulig :-/
Da ich den Rest des Buches jedoch nicht kenne, bezieht sich das nur auf diesen Ausschnitt.
Edith: Wäre auch schön die Meinung der Runterwählys zu lesen.
Wahrscheinlich, weil das in DACH nicht wirklich was zu suchen hat.
Interessant, warum? Das darüberliegende Thema betrifft uns. Der Autor ist Deutscher. Wenn das jetzt die fiktive (!) Antrittsrede vom neuen Kanzlery/Kommissionspräsidenty wäre, wäre es plötzlich relevant?
Ja.
Und USA-spezifische Themen werden eh in allen allgemeinen Politik- und Nachrichtengemeinschaften rauf- und runterdiskutiert.
Ich finde den Text zumindest interessant. So oft gehört, man sollte nicht nur warnen sondern auch Lösungen anbieten. Hier hat sich mal jemand hingesetzt und seine Vision aufgeschrieben. Jetzt mit Russland halt schwierig, daher kommen sicher auch die Runterwählis. Und natürlich angreifbar, wie alles, immer. Aber weiter verharren, lamentieren und hoffen, dass die Zukunft noch nicht klopfen kommt ist ganz schön wenig für uns gebildete, sichere, satte Erdlinge. Da gefällt mir der Churchill-Ansatz gut.